Liebe Piraku,
Du schreibst hier, weil du dich um deine jüngere Schwester sorgst, die seit deinem Auszug von Zuhause die Rolle der „Aufpasserin“ für deine Mutter übernommen hat. Ich möchte mit dem Ende deines Textes beginnen und Deine Frage beantworten:
hat sie das recht aus diesem instabilen Umfeld herausgeholt zu werden?
Deine Schwester und Du – Ihr habt beide das Recht auf ein eigenes glückliches Leben, in dem IHR SELBST die Hauptrolle spielt. Zumal Ihr mit 18 und 22 Jahren auch keine Kinder sondern Erwachsene seid. Du hast mit deinem Wegzug von Zuhause einen wichtigen Schritt unternommen, um Distanz zu gewinnen. Nun ist leider deine jüngere Schwester in deine Rolle geschlüpft – und leidet darunter. Wodurch Du Schuldgefühle hast.
Ihr beide solltet Euch immer wieder vor Augen führen, dass das Alkoholproblem eurer Mutter IHR Problem ist. Ihr habt keine Schuld an ihrem Verhalten und Ihr seid nicht für ihr Wohlergehen verantwortlich. Diese Distanz, die Du schon räumlich gewonnen hast, solltet Ihr auch innerlich gewinnen. Das mag etwas hart klingen, weil es um Eure Mutter geht. Aber es geht vor allem um euch. Setzt Euch selbst ins Zentrum Eures Lebens und gebt der Mutter nicht mehr so viel Raum! Denn wie schon gesagt: Ihr habt ein Recht auf ein eigenes, selbstbestimmtes Leben!
Euer Vater scheint sich recht gut von den Problemen abgrenzen zu können; durch seine Abwesenheit, bekommt er vielleicht auch nicht alles mit. Sucht Euch deshalb woanders Unterstützung. Das kann einerseits die Schulsozialarbeit oder die psychologische Beratungsstelle eurer Schule oder Universität sein. Oder aber die Suchtberatungsstelle an Eurem Wohnort (eine Liste findest du unter http://www.infoset.ch/cgi-bin/offers/index_de.cfm?state=ag&offer=1). Die Beratungsstellen sind immer auch für Angehörige offen und helfen ihnen, besser mit der Situation zu Recht zu kommen. Die Kosten werden in der Regel von der Gemeinde oder von der Krankenkasse übernommen. Alle Beratenden stehen unter Schweigepflicht.
Falls Deine Schwester von Zuhause weg will: Sie ist mit 18 Jahren alt genug für eine alternative Wohnform; sei es eine WG oder eine eigene Wohnung. Manche Gemeinden bieten auch begleitete Wohnformen an. Wenn Ihr (oder auch nur deine Schwester) zur Suchtberatung Eurer Gemeinde geht, sollten die Mitarbeitenden helfen können. Auch bei der Schulsozialarbeit sollten sie über die Möglichkeiten informiert sein.
Was Eure Mutter angeht: Es wäre natürlich sehr sinnvoll, wenn auch sie zu einer Suchtberatung gehen würde. Aber die Entscheidung muss von ihr kommen; sie muss einsehen, dass sie Hilfe braucht. Manchmal können Alkoholkranke erst dann zu ihrem Problem stehen, wenn sie schon sehr viel verloren haben. Vorwürfe helfen meist wenig, die betroffene Person zieht sich dann meist noch mehr zurück oder wird aggressiv. Ihr könnt Eurer Mutter aber durchaus sagen, dass Ihr euch um ihre Gesundheit sorgt, dass ihr Angst um sie habt, wenn sie die Nacht unterwegs und nicht erreichbar ist.
Ich hoffe, dass ich Dir / Euch etwas habe helfen können. Was für Dich, Piraku noch wichtig ist: Es ist toll, dass Du Deiner Schwester helfen willst und sicher schätzt sie das auch. Doch auch hier gilt: Du kannst nicht die Verantwortung für sie und ihr Leben übernehmen. Zwar ist sie jetzt nach deinen Wegzug in deine Rolle geschlüpft, aber das heisst nicht, dass du dafür verantwortlich bist. Der Schritt war für Dich sehr wichtig, um Distanz zu gewinnen, damit Du Dein Leben leben kannst. Nun muss Deine Schwester lernen, wie auch sie diesen Schritt vollziehen kann.
Ich werde Dir per PN noch einige Links schicken, die Euch auch noch weiterhelfen können.
Alles Gute!!!