Hallo!
Ich bin 16 Jahre alt und möchte einfach nur erzählen. Mit meiner Geschichte möchte ich anderen Mut machen, den gleichen Schritt wie ich zu tun. Ich möchte ausdrücken, wie es mir mit meinem Alltag geht und anderen ein gutes Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind, dass es auf dieser Welt, vielleicht sogar ganz in ihrer Nähe jemanden gibt, der in einer gleichen oder einer ähnlichen Situation ist. Meine Geschichte soll anderen Kraft und Selbstvertrauen geben, sie stark machen für eine schwierige Situation und auch zeigen, dass man damit umgehen kann, egal wie schwierig sie erschient.
"Was ist los, geht es dir nicht gut?", war im November 2012 eine einzelne Frage von meinem Klassenlehrer an mich. Ich lächelte – wie immer – und versicherte ihm, dass es mir gut ginge. Damals war die Situation bei mir zu Hause noch nicht so schlimm. Meine Mutter trank schon damals mehrmals pro Woche zu viel Wein. Ich habe geschwiegen, niemandem von meiner Situation erzählt und den ganzen Kummer in mich hinein gefressen. Gemerkt hat niemand etwas. Niemand, bis auf meinen Klassenlehrer, der aber nicht bohrte und mich nicht damit bedrängte, dass etwas nicht stimmte.
Ein Jahr später, im November 2013 ging ich nach einer Nacht mit nur drei Stunden Schlaf zu unserer Schul – Sozialarbeiterin. Am Abend vorher hatte ich entdeckt, dass meine Mutter einen Kirsch – Likör trank. Seither habe ich das zum Glück nie mehr gesehen. Ich hatte riesige Angst bekommen und wusste nicht, was ich tun konnte. Ich ging zu ihr und erzählte ihr alles. Wir trafen uns wärend der Schulzeit regelmässig etwa alle 2 – 3 Wochen. Ich konnte erzählen, hatte jemanden, der Zuhörte, meine Situation kannte und verstehen konnte. Ich habe bei ihr gelernt, mich mit anderen Dingen abzulenken und weiss heute, dass ich keine Angst haben muss vor dem was kommt. Es ist jemand an meiner Seite, der für mich da ist. Meine Mutter trinkt jetzt 5-6 mal pro Woche bis zu 2 Flaschen Wein pro Abend.
Im Frühling 2014 weihte ich meinen ehemaligen Klassenlehrer ein. Er war geschockt, dass die Situation so schlimm ist. Das es mir nicht gut ging, wusste er – das hatte er nicht erwartet. Ich hatte nun zwei Personen, die über meine Situation Bescheid wussten. Ich konnte immer kommen und erzählen. Egal, ob es mir gut oder schlecht ging.
Schon früh kam die Frage auf – handeln, mit meiner Mutter darüber reden, mit meinem Vater, oder einfach lernen, damit umzugehen und nichts tun. Ich entschied mich irgendwann für die zweite Möglichkeit. Ich weiss, wie ich mich ablenken kann, meine Wut los werden kann und nicht den ganzen Kummer in mich hinein fresse.
Ich hätte auch handeln können. Ich habe meinem Vater erzählt, wie sehr mich diese Situation belastet, er reagierte leider nicht darauf. Er brummte nur und schlug die Zeitung auf – als hätte ich ihm erzählt, dass es im Sommer wärmer ist als im Winter. Vielleicht hätte ich noch einmal mit ihm sprechen müssen, darauf drängen müssen, dass sich endlich etwas ändert. Ich habe aber auch gelernt, dass es nicht meine Aufgabe ist, meine Mutter vor dem Alkohol zu schützen. Sie ist erwachsen und weiss selbst, dass es schädlich ist, zu viel Alkohol zu trinken. Wenn sie sich trotzdem dafür entscheidet kann ich nichts machen – ich gehe damit so gut wie möglich um und sonst ist mir das ganze egal.
Ich lenke mich mit anderen Dingen ab. Ich treffe Freunde, treibe Sport und mache Musik. Ich lese sehr gerne – am liebsten Biografien – und manchmal ist bei mir eine Nacht halt zwei Stunden kürzer, weil ich mich mit Lesen "abreagieren" muss.
Ich möchte mit meiner Geschichte zeigen, dass es für alle Betroffenen einen Weg gibt, mit der Situation umzugehen. Ich habe zwei ganz unterschiedliche Wege kennen gelernt, jeder muss für sich selbst entscheiden, was das Beste ist.
Weg 1: Hinschauen, handeln und das Gespräch mit der trinkenden Person suchen. Sich auf jeden Fall Unterstützung bei einer vertrauten Person suchen. Das kann ein Bruder oder eine Schwester sein, ein Lehrer, die beste Freundin, der beste Freund, ein Sozialarbeiter (Schule, Kirche), etc. Such dir eine erwachsene Person, die dir helfen kann. Gemeinsam ist man stark!
Weg 2: Zuschauen, damit umgehen und die Situation und Person sich selbst überlassen. Es ist ein heikler Weg. Er ist lang und braucht viel Geduld. Such dir jemanden, mit dem du reden kannst, der dich tröstet und auch mal in den Arm nimmt. Rede auf jeden Fall mit jemandem, behalte nicht alles bei dir, was dich belastet. Dann such dir etwas, das dich ablenkt, wo du auch mal deine Wut loswerden kannst und deine Gedanken auf etwas anderes konzentriert sind. Geh raus, mach Sport und triff dich mit Freunden. Lass die Situation zu Hause und lenke dich ab. Auch zu Hause brauchst du etwas, mit dem du dich beschäftigen kannst, Musik, Zeichnen, Lesen etc.
Ich weiss, wie belastend so eine Situation ist, es ist eine Erleichterung, wenn man alles loswerden kann. Traue dich, darüber zu sprechen und mach das Beste aus einer Situation, die für alle Beteiligten nicht einfach ist!